Technik
Der Trupp für alle Fälle
Klemmt etwas im System der KWO, kommt die Baugruppe zum Einsatz. Daniel Bürki und seine neun Mitarbeiter kennen die komplexen Anlagen wie ihre Hosentasche, auch dort, wo vieles im Dunkeln liegt.
07.11.2024 Author – Annette Marti Photos – David Birri
Der Lichtkegel der Stirnlampe schwenkt suchend hin und her. Die Stiefel geraten immer wieder in eine schmierige Masse, von der sie sich mit einem langen Schmatzer lösen. Aus dem Innern des Berges ist ein dumpfes Brummen zu hören. Alle anderen Geräusche der «normalen» Welt sind ausgesperrt. Wir befinden uns im Bauch der Erde, in einem Wasserstollen der KWO zwischen den Kraftwerken Handeck und dem Wasserschloss Chapf, der ausser Betrieb ist. «Das Geräusch kommt vom Motor des Stollenladers», sagt Daniel Bürki, «im Moment wird der Sandfang vorne beim Chapf erweitert». «Vorne» und «hinten» machen als Begriffe in der finsteren Unterwelt wenig Sinn, ausser man kennt die vielen Stollen und Gänge so gut wie Bürki, der die Baugruppe der KWO leitet. Er kann fast jeden Winkel des weit verzweigten Systems seiner mentalen Landkarte zuordnen. Wer über keine solche virtuelle Karte im Kopf verfügt, verliert die Dimensionen im Dunkeln. Zur Verwirrung trägt bei, dass sich der Schall in den Gängen schnell ausbreitet und man den Stollenlader deshalb hört, obschon er über fünf Kilometer weiter weg arbeitet. Für Bürki und seinen neunköpfigen Bautrupp sind solche Bedingungen alltäglich. Die Arbeiter bewegen sich schlafwandlerisch sicher im Netz des Wasserkraftwerks, kennen Ein- und Ausgänge, fahren durch Tunnels oder kriechen in Röhren. Je nachdem, wo ihr Einsatz gerade benötigt wird. Die Aufgaben sind vielseitig: Mal gilt es etwas auszubessern, Ausbrüche zu flicken oder Steine und Dreck wegzuräumen, dann wieder braucht es bauliche Massnahmen im Brandschutz, für die Leittechnik oder am Gebäudeunterhalt. Wenn während einer Entleerung – wie in diesen Wochen im November – kein Wasser durch die Stollen fliesst, machen zwar die Turbinen Pause, für die Bauleute geht es aber umso hektischer zu und her.
Wir arbeiten zwar an kleinen Puzzlesteinen, aber die Zusammenhänge in diesem vielfältig verbundenen System sind sehr komplex.
Daniel Bürki, Leiter Instandhaltung
Viele Orte sind nun zugänglich, die sonst während Jahren von Wasser bedeckt sind. Bürki wanderte mit Hüftstiefeln und Stirnlampe ausgerüstet durch rund 40 Kilometer Stollen, um Mängel zu erkennen. So säuberte sein Trupp im Triebwasserstollen zwischen Handeck und Chapf einen Sandfang, bevor sie sich an einem weiteren Ort im weit verzweigten System zu schaffen machten, nämlich im Gebiet Ärlen, hoch über dem Hotel Handeck.
Die Fahrt zur Baustelle führt uns vorerst wieder ans Tageslicht, beim Kraftwerk Handeck werden wir allerdings gleich wieder von einem langen Tunnel verschluckt. Daniel Bürki meldet die Fahrt bei der Leitstelle und gibt zur Sicherheit an, wie lange und wo genau wir unterwegs sein werden. Nach verschiedenen Abzweigungen und Kehren öffnet sich plötzlich eine grosse Türe und wir fahren hoch über dem Tal aus dem Berg heraus. Über eine Schotterpiste geht es zur Unteren Grubenbachfassung. Rolf Steinmann, Christian Thüring und Martin Gehring haben bereits verschiedene Arbeiten an der Entsanderanlage erledigt und sind nun dabei, die Granitsteine der Wasserfassung auszufugen. Den Einfluss aus dem Bachbett haben sie mit einer Plane überdeckt, so dass sie am Trockenen arbeiten können. Martin Gehring macht sich Sorgen wegen dem Wetter. Für das Wochenende ist Schnee angesagt und Gehring bespricht sich mit Bürki, ob sie die Baustelle an der Grubenbachfassung nicht besser schon winterdicht abschliessen sollten. Fällt auf dieser Höhe Mitte Oktober Schnee, kann dies bedeuten, dass der Winter definitiv Einzug hält. Auch an weniger exponierten Stellen und sogar in den unterirdischen Gängen ist das Wetter stets ein Thema. In den Stollen ist nämlich fast immer ein Luftzug spürbar und je nach Niederschlag fliesst auch Wasser. Diese Faktoren erhöhen die Herausforderungen auf den alpinen Baustellen, ganz abgesehen davon, dass es jedes Mal einen grossen Aufwand bedeutet, Zugang und Beleuchtung zu installieren und die Wasserwege abzusichern. «Oft können wir auch Maschinen nur begrenzt einsetzen, weil es einfach zu eng ist», erklärt Martin Gehring, «so müssen wir sogar das Material von Hand hinschaffen und wieder wegbringen.» Aus all diesen Gründen, ergänzt Daniel Bürki, sei es enorm wichtig, dass seine Leute die Anlagen gut kennen. «Wir arbeiten zwar an kleinen Puzzlesteinen, aber die Zusammenhänge in diesem vielfältig verbundenen System sind sehr komplex», sagt er. In einem solch ausgeklügelten Mechanismus muss jedes Detail stimmen – und dafür ist nicht selten auch der Bautrupp verantwortlich.