Story Kagegorie
Landschaft auf dem Teller
Roman Crkon, Küchenchef der Grimselhotels, ist ein Ästhet. Was er kocht, zeichnet er zuerst. Auf allen Stufen im Entstehungsprozess eines Gerichts sucht er die Perfektion. Zum Schluss zaubert er seinen Gästen ein Stück Bergidylle in essbarer Form auf den Teller.
13.11.2024
Das Gericht auf dem Teller sieht aus wie ein Gemälde, wie ein Kunstwerk als essbare Variante. Verschiedene Farben und Formen spielen ineinander, glänzende Oberflächen heben sich gegen pelzige Kügelchen ab, Pulver, Schäumchen und elegant dahin geschwungene Spritzer folgen einer inneren Logik, die das Auge anspricht. Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Die Gerichte aus der Küche von Roman Crkon sind sorgfältige Arrangements, die stets von Neuem ausloten, was kulinarisch und optisch möglich ist.
Roman Crkon ist seit 2017 Küchenchef der Grimselhotels. Während der Sommersaison ist sein Arbeitsort mehrheitlich im Hotel Handeck, von Weihnachten bis zum Ende der Wintersaison verwöhnt er die Gäste im Hotel Grimsel Hospiz. Schnell fühlte sich der Slowake, der schon länger in der Schweiz lebt, in der Bergwelt wohl, fand Gefallen an all dem, was die Region an Produkten hergibt und was er teilweise direkt vor seiner Haustüre findet: Beeren, Pilze, Blumen, Tannenzweige, Kräuter und vieles mehr. Mit seiner, wie er es nennt «Feld-, Wald- und Wiesenküche» trifft er den Geschmack der Zeit und hob den Standard der Handeck-Küche von 13 auf aktuell 15 Gault Millau Punkte.
«Ich habe mir immer gut vorstellen können, wie verschiedene geschmackliche Komponenten zusammenpassen, aber ein Gericht muss nicht nur im Gaumen stimmen, es muss auch visuell überzeugen».
Roman Crkon, Küchenchef Grimselhotels
Am Holztisch unter dem Gemälde des einheimischen Kunstmalers Brügger in der Stube des Hotels Handeck breitet Crkon seine Zeichnungen aus. Die Sommersonne wirft helle Lichtstrahlen vor die Fenster und schafft einen starken Kontrast zum gemütlichen Holz der Gaststube. Auf den verschiedenen Skizzen lassen sich sofort die charakteristischen Formen erkennen, die auch die Gerichte auf den Tellern ausmachen. Tatsächlich fliessen die Ideen, die sich im Kopf des Kochs zu einem Plan entwickelt haben, vorerst auf Papier. Die Arbeit mit dem Stift hilft ihm, Inspirationen festzuhalten und sie weiterzuentwickeln. «Ich habe mir immer gut vorstellen können, wie verschiedene geschmackliche Komponenten zusammenpassen, aber ein Gericht muss nicht nur im Gaumen stimmen», sagt Crkon, «es muss auch visuell überzeugen». Ausgangspunkt seien bestimmte Aromen und Kombinationen, die ihn faszinieren, erklärt er. Er überlegt, ob bestimmte Produkte harmonieren und ob sie sich im Mund auch unterschiedlich anfühlen, knusprig zum Beispiel oder cremig, fest oder gelartig. Die Ästhetik ist dem Küchenchef aber genauso wichtig. So zeichnet er seine Speisen, feilt an den Menus, skizziert, verwirft, ergänzt, bis alles optisch stimmig ist. Nach der Zeichnung und dem Konzept für die Zutaten beginnt der Prozess in der Küche. «Das Gericht wird nie genau so, wie ich es zeichne», sagt Crkon, «die Skizze ist der Anfang. Dann wandelt sich die Kreation durch die Arbeit im Team, bis alles passt». Manchmal dauert es mehrere Monate, bis eine Idee zu einem fertigen Gericht gereift ist.
Zeichnen ist für Roman Crkon seit jeher mit Kochen verbunden. Erst in letzter Zeit hat der Koch begonnen, auch in seiner Freizeit zu zeichnen und zu malen. Dabei entdeckte er, wie gut er abschalten und sich erholen kann. «Ich habe sogar angefangen, in den Ferien Landschaftsbilder zu malen», erzählt der 34-Jährige. «Das hätte ich früher nie gewagt. Es ist richtig toll!» Crkon hat ein Flair für die Natur und die Berge. «Deshalb bin ich auch so gerne hier an der Grimsel und weil ich mich beruflich frei entfalten kann», sagt er. Mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern wohnt Crkon in Guttannen. Das passe sehr gut und für die Kinder erachte er Guttannen als idealen Ort um aufzuwachsen. Er liebt auch seinen Arbeitsweg, wenn er etwa vom Hotel Grimsel Hospiz im Winter auf unterirdischen Wegen nach Guttannen zurückkehrt. «Das funktioniert viel besser als manche erwarten. Die Gäste schauen mich manchmal komisch an, wenn ich ihnen zwischen den hohen Schneemauern erkläre, dass ich nun nach Hause gehe.» Dabei sei er nach kurzer Zeit zurück bei seiner Familie – nicht durch den dichten Pendelverkehr einer Stadt, sondern mit der Seilbahn und durch die abends kaum genutzten Stollen der Kraftwerke.
Neben der Küche, zur grossen Gartenanlage des Hotels hin, liegt der alpine Kräutergarten der Handeck-Küche. Vom Spielplatz her schallen Kinderstimmen und das Quietschen der Schaukel herüber. Weiter oben bei der Käserei scheppert ein Senn mit Milchkannen, von der Strasse her ist kurzzeitig ein dröhnendes Motorrad zu vernehmen. Dann wird es wieder ruhig. Sommeridylle am Pass – meterhoher Schnee und Abgeschiedenheit im Winter. Die Gegensätze sind gross. Genau dies mag Roman Crkon besonders. «Wir sind nicht zwölf Monate im gleichen Trott», sagt er. «Die Jahreszeiten unterscheiden sich, die Betriebe sind anders und wir haben auch nicht die gleichen Gäste. Das macht die Arbeit sehr spannend.» Für eine Ganzjahres-Stelle ist es auch einfacher, Mitarbeitende zu gewinnen. «Ein konstantes Team macht sehr viel aus», weiss er. «Deshalb versuchen wir gute Bedingungen zu schaffen und setzen uns für den Zusammenhalt ein.» Einmal in der Woche spielt die Crew zusammen Fussball in Guttannen, manchmal, an freien Tagen geht man gemeinsam mit den Familien wandern. «Der Teamgeist ist der Schlüssel für gute Arbeit», sagt Crkon. «Ich bin froh, dass dies bei uns recht gut funktioniert.»
Roman Crkon pflückt frische Minze, Kapuzinerkresse und wilden Oregano. Nicht alle Zutaten wachsen gleich neben der Haustüre, aber doch einige. Pilze oder Beeren aus dem Wald finden den Weg in die Grimselküche, genau wie Sauerampfern oder Brennnesseln, die auf den Wiesen zu finden sind. Von den Alpschweinen stammen Speck und Fleisch, der Käse rollt fast von allein von der Sennerei hinunter zum Hotel. Die Möglichkeiten, welche die alpine Umgebung kulinarisch bietet, sind äusserst vielfältig. Blickt man sich im Handeck-Kosmos genauer um, so entsteht das Bild einer Welt mit vielen kleinen Details und versteckten Schätzen. Dieser Reichtum spiegelt sich in den kulinarischen Arrangements von Roman Crkon. Die unglaublichen Farbkombinationen des Hauptgangs scheinen direkt dem bunten Nebeneinander der Blumen auf den Wiesen entsprungen zu sein. Die fruchtigen Gelées und glacierten Kugeln des Desserts erinnern an eine Reihe von glänzenden Steinen im Bergbach. Mit etwas Fantasie lassen sich viele andere Parallelen herstellen. Das Wichtigste aber, und damit dürften am Ende des Tages nicht nur die Gäste, sondern auch das Küchenteam glücklich sein: Die Aromen der Gerichte wirken so vielfältig und überraschend wie eine frische Sommerbrise am Gelmersee oder ein Blick in den Sternenhimmel über dem Grimselpass.