Natur
Naturschätze im steilen Gelände
Die abschüssigen Wiesen und Weiden des Gadmentals, die von Landwirten sanft genutzt werden, weisen überdurchschnittlich viele seltene Pflanzen- und Tierarten auf. Die KWO möchte einen Beitrag leisten zum Erhalt dieser Biodiversität – als eine von verschiedenen Ausgleichsmassnahmen für Bauprojekte.
14.03.2024 Autor – Annette Marti Fotos – David Birri
Es ist ein vielschichtiges Summen und Zirpen, das an diesem heissen Sommertag über dem steilen Wiesenhang schwebt. Welche Tierstimmen genau diesen Klangteppich ausmachen, ist für den Laien schwer zu sagen. Magdalena Rohrer kennt sich bei den kleinen Lebewesen aus, sie weiss, wer auf den Trockenwiesen unterwegs ist und welche seltenen Blumenarten an den steilen Abhängen des Gadmentals gedeihen. «In den Trockenmauern leben Aspisvipern, Schlingnattern und Blindschleichen, ebenso wissen wir von rund 60 verschiedenen Arten von Schmetterlingen, die hier herumfliegen», sagt die Umweltingenieurin aus dem Ökologieteam der KWO. In den letzten Jahren hat die KWO intensiv untersucht, wie sich Fauna und Flora an den einst durch Wildheuer genutzten Standorten entwickeln. Viele der Wiesen sind schwer erreichbar und sehr aufwändig zu bewirtschaften. Deshalb wurden sie häufig aufgegeben und bald begann die Verbuschung. Die sogenannten Trockenwiesen und -weiden sind Flächen, die wenig Ertrag liefern, sich oft an sehr steilen und sonnigen Hängen befinden, meistens ist auch Wasser nur begrenzt verfügbar.
«Charakteristisch für die traditionelle Landwirtschaft sind die Trockenmauern. Sie bieten wertvollen Lebensraum für Kleintiere», erklärt Rohrer. Die aufgeschichteten Steine sind heute immer seltener anzutreffen. Im steilen Gelände trotzen auch kleine alte Holzscheunen den Natureinflüssen. Sie gehören ebenso zum Landschaftsbild, denn die allermeisten Trockenstandorte des Gadmentals erreicht man nur zu Fuss und so sind die Bewirtschafter froh um Lagerraum und Unterschlupf. Magdalena Rohrer öffnet die Tür zu einem freundlichen, kleinen Häuschen am Staldiberg ob Nessental. Sie weiss, was da drin lagert, da sie auch schon mitgeholfen hat, die Wiesen zu mähen. An der Wand hängen Netze für den Abtransport des Heus und eine Art Steigeisen, die besseren Tritt in den steilen Wiesen ermöglichen. Es sei eine sehr anstrengende Arbeit, erklärt Rohrer. Der Ausblick vom kleinen Holzhaus ist umwerfend. Die verschiedenen Wiesenstücke im Wald sind gut zu erkennen. Sie bilden ein eigentliches Patchwork-Muster. Die KWO ist bestrebt, die Anzahl dieser Flächen zu erhalten, ja, sie sogar zu vergrössern. Als Ausgleich für Bauprojekte leistet die KWO so einen Beitrag zur Förderung der Biodiversität.
«Mit gemeinsamen Kräften können wir die Biodiversität erhalten und fördern.»
Magdalena Rohrer, Ökologin KWO
Zurück im Büro zeigt Magdalena Rohrer auf dem Computer eine Karte, auf der ersichtlich ist, wie sich die Standorte über die Jahre entwickelt haben. Der Bund führt ein Inventar über die Trockenwiesen und -weiden der Schweiz. Manche Wiesenstücke sind offen, andere verschwinden unter Büschen und werden allmählich wieder zu Waldflächen. Die Umweltingenieurin erklärt: «Wenn die Landwirte diese Fläche über eine längere Zeit extensiv bewirtschaften und zwischendurch mit Pflegeeingriffen auch die Büsche zurückdrängen, dann hat diese Bewirtschaftung einen positiven Einfluss auf die Artenvielfalt. Ohne Bewirtschaftung würden die Gebiete in kürzester Zeit verganden oder verbuschen und die Vielfalt ginge zurück.» Der Kanton Bern unterstützt die Bewirtschafter mit Beiträgen, so darf beispielsweise bei diesen Wiesen nur nach dem 15. Juli gemäht werden und düngen ist nicht erlaubt, da sich sonst die Vegetation verändert. Nachdem die KWO mitgeholfen hatte, neue Flächen zu entbuschen und den Waldrand zurückzudrängen, untersuchte das Ökologie-Team zusammen mit Fachspezialisten in den letzten Jahren genau, wie sich die Artenvielfalt entwickelte. Die Ergebnisse des Monitorings sind zufriedenstellend. Sie decken sich mit dem, was in der Wissenschaft schon länger bekannt ist: Trockenwiesen sind die artenreichsten Pflanzengesellschaften der Schweiz. In diesen Ökosystemen leben fast zwei Drittel der seltenen und gefährdeten Pflanzenarten.
Der Mensch spielt in der Artenvielfalt des Gadmentals also eine wichtige Rolle. Die Bewirtschaftung durch die Bauern und Bäuerinnen hat eine Kulturlandschaft erschaffen, die für die Biodiversität wertvoller ist als eine eigentliche «Wildnis». Um dieses Mosaik zu fördern, ist nicht nur der Goodwill der KWO nötig, sondern vor allem braucht es Landwirte, die die Bewirtschaftung aufrechterhalten. Angelika und Thomas Bircher haben eine clevere Lösung gefunden, wie sie die Nutzung der Trockenwiesen in ihren Betrieb in Nessental einbinden können. Sie halten schon seit 15 Jahren Galloway-Rinder, die wie natürliche Rasenmäher in den steilen Wiesenstücken herumspazieren und das magere Futter gut verwerten. «Für Milchkühe ist dieses Futter zu wenig nahrhaft, aber für Galloways geht es gut», erklärt Thomas Bircher. Birchers mähen rund 3 Hektaren Trockenwiesen und auf ungefähr 4 Hektaren weiden die Tiere. Aber auch dies bedeutet Arbeit. «Wir müssen zäunen und zur Kontrolle alle zwei bis drei Tage zu den Tieren hochsteigen», erklärt Angelika Bircher. Besonders kompliziert ist in den trockenen Gebieten die Versorgung der Tiere mit Wasser.
Thomas Bircher erzählt von den früheren Generationen der Gadmer Landwirte, die ohne das Heu von den steilen Bergwiesen zu wenig Futter gehabt hätten und deshalb die mühevolle Arbeit des Wildheuens auf sich nahmen. «Auch heute braucht es Überzeugung, in diesen Flächen aktiv zu sein», ergänzt Angelika Bircher. «Sollten die Beiträge des Kantons noch kleiner werden, müssen wir uns überlegen, ob das noch aufgeht. Es ist viel weniger aufwändig, die Wiesen im Tal zu bewirtschaften.» Beide weisen darauf hin, dass in der Landwirtschaft aktuell vor allem die Arbeitskräfte ein Problem seien. Für viele Aufgaben, beispielsweise auch auf den Alpen, gebe es schlicht zu wenige Hände, die mit anpacken. Dass die Beiträge den Aufwand für die Trockenstandorte nicht decken, weiss auch Magdalena Rohrer. «Es ist extrem anstrengend, diese Wiesen und Weiden zu unterhalten, das bedingt sehr viel Leidenschaft», sagt sie. Und trotzdem wünscht sie sich nichts so sehr, wie diese Kulturlandschaft erhalten zu können. Sie ist überzeugt: «Mit gemeinsamen Kräften können wir die Biodiversität erhalten und fördern.»
Trockenwiesen - eine Rarität
Die Anzahl der Trockenwiesen und -weiden hat in der Schweiz seit 1900 dramatisch abgenommen. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt sind mehr als 95 Prozent dieser Flächen verschwunden und die Qualität leidet. Die Trockenwiesen und -weiden gehören zu den artenreichsten Pflanzengesellschaften in der Schweiz. Man findet hier bis zu 100 Pflanzenarten pro Are. Auf diesen Wiesen kommen auch viele der seltenen und gefährdeten Arten vor, manche lassen sich gar nur auf solchen Flächen nachweisen. Dank der grossen Vielfalt sind die Gebiete auch für die Fauna wichtig.
Der Bundesrat hat die Trockenwiesen und -weiden im Jahr 2010 (TWW) in ein Inventar aufgenommen, um die Flächen gemäss dem Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz zu erhalten. Hier will die KWO einen Fokus setzen und ihm Rahmen ihrer ökologischen Ausgleichsmassnahmen solche Flächen erhalten und fördern.
Online-Karte des BAFU