
Natur
Tierischer Einsatz für die Biodiversität
Sie sind Strauchvernichter in Tiergestalt: Rund 90 Ziegen sind auf der Bäregg im Gental seit Sommer 2024 gegen die Verbuschung des Alpgeländes im Einsatz – mit Erfolg. Dennoch braucht es Man-, oder in diesem Fall Frauenpower, um Grünerle, Weiden und Ahorn nachhaltig loszuwerden.
10.03.2025 Autor:in – Heidi Schwaiger
Mit gespitzten Ohren beobachten mehrere Ziegen aufmerksam den Besuch, der sich über die Alpwiese nähert. Vereinzeltes Meckern und das helle Läuten von Ziegenglocken ist zu hören. Der Grossteil der Tiere liegt an diesem Spätnachmittag wiederkäuend zwischen den fleischigen Blättern des Alpenampfers neben der Hütte auf Bäregg. «Als wir im Juli mit den Tieren auf die Alp kamen, standen die Blacken fast einen Meter hoch», erzählt Stephanie Seiler, eine der beiden Hirtinnen. Nun sind sie unübersehbar abgefressen – ebenso wie der Rest der eingezäunten Fläche unterhalb der Alphütte. «Die Ziegen haben das Areal schnell abgeweidet, so dass wir sie bereits nach vier Wochen ins offene Gelände lassen mussten, damit sie genug Futter bekommen», ergänzt Hirtin Pascale Stähli sichtlich stolz. Der Einsatz der Geissherde gegen die Verbuschung im südlichen Gental ist ein voller Erfolg – das lässt sich bereits nach der ersten Sommersaison sagen. Initiiert wurde der Einsatz der Ziegen im Gental von den Hirtinnen und oekoskop. Ziel des dreijährigen Projektes, das von der KWO unterstützt wird, ist es, die Verbuschung des Geländes zu verringern und die artenreichen Alpwiesen, die hier früher anzutreffen waren, zurückzugewinnen. Pierre Coulin von oekoskop ist von der Wirksamkeit der Tiere überzeugt: «Ziegen sind ideal – dank ihnen entstehen nicht nur wieder wertvolle Weideflächen für die Kühe im Gental, sondern sie fördern auch die Artenvielfalt und somit die Biodiversität auf diesen Flächen.»
Ziegen sind Tiere mit Charakter: Sie sind clever, witzig, verschmust, verfressen und unglaublich neugierig.
Pascale Stähli, Hirtin
Zwar weiden heute noch Rinder auf den Hängen zwischen Scharmad und Sätteli, doch diese interessieren sich primär für Gras. Ziegen schälen die Rinde von den Ästen, was den Tod für Grünerle, Ahorn, Weiden, Birken und Eschen bedeutet. «Früher liessen die Landwirte Ziegen vor und nach den Rindern weiden», sagt Pascale Stähli. «So wurde das Gelände gleichmässig abgeerntet.» Heute stehen die neugierigen Tiere nicht mehr hoch im Kurs. «Sie bedeuten einen Mehraufwand und die Produkte werden zu wenig vermarktet», glaubt Pascale Stähli, die ihren sechsten Sommer mit Ziegen auf der Alp verbringt. Die beiden drahtigen Frauen aus Schwanden bei Brienz sind Ziegenfans: Ihre fünf eigenen Tiere stehen ebenfalls auf Bäregg im Einsatz. Sie sind vom Projekt überzeugt: «Es gibt fast keine bessere Lösung, um Weideflächen offen zu halten.» Das wird klar, wenn man das Gelände genauer betrachtet: Neben dem krautigen Alpenampfer sind auch Heidelbeersträucher abgefressen, Erlen, Weiden und Tannen bestehen nur noch aus kahlen Aststummeln. In den kommenden Sommern werden sie teils abgestorben sein und andere Pflanzen werden ihren Platz einnehmen. Insgesamt drei Monate verbrachten die Hirtinnen im Sommer 2024 im Gental, zunächst auf der Alp Gental, dann auf Bäregg. Bevor sie die Tiere auf rund 1900 Meter führen konnten, war eine Menge Arbeit angesagt: Die Alphütte musste vorbereitet, das Gebiet in Handarbeit eingezäunt werden. «Wir sind am Limit gelaufen», sagt Stephanie Seiler. Unterstützung erhielten sie von der Alpgenossenschaft Gental,
worüber die beiden sehr froh sind. «Die Arbeit ist anstrengend, aber auch schön und spannend. Wir lernen sehr viel», ergänzt Pascale Stähli. Während sich die Ziegen satt frassen, haben die beiden Frauen Alpenrosen ausgegraben und höhere Weiden gefällt, damit die Tiere auch die oberen Äste erreichen können. Die letzten zwei Wochen begleiten sie die Tiere nun ausserhalb des Zauns auf ihren Weidegängen. Immer dabei sind ihre beiden Hirtehunde.
Das Hüten bedeutet in diesem unebenen und steilen Gelände viel Kopfarbeit, man muss stets vorausdenken».
Stephanie Seiler, Hirtin
Viel Zeit setzen die beiden Frauen für die Pflege der Ziegen ein. Zunächst gab es aufgrund der
nassen Witterung Klauenprobleme, dann Lippengrind, eine ansteckende Erkrankung, die viel Behandlung benötigt. Da Pascale Stähli in den Wintermonaten als Fachfrau Gesundheit arbeitet und Stephanie Seiler ausgebildete Intensivpflegerin ist, bringen sie hier eine Menge Wissen mit. Dennoch mussten im Lauf des Sommers einige Tiere von den Besitzern abgeholt werden, so dass sich die anfängliche Zahl von 91 Tieren gegen Ende auf 52 verringerte. Die beiden Hirtinnen haben eine Menge Ideen, was man in den nächsten beiden Sommern verbessern könnte, beispielsweise einen Unterstand für die Ziegen zu erstellen, damit sie bei Schlechtwetterperiode im Trockenen sein können. Oder die Alphütte auf Bäregg so einzurichten, dass sie sich zum Schlafen und Kochen eignet – bisher übernachten die Hirtinnen im rund 30 Minuten entfernten Achteltsass. «Auch ein Brunnen neben der Hütte wäre schön, damit die Tiere nicht so weit laufen müssen, um an Frischwasser zu kommen», ergänzt Pascale Stähli.
Die Frauen haben während des Gesprächs stets die Herde im Blick, die aus Appenzellerziegen, Bündner Strahlenziegen, Grüenochte Geissen, Walliser Schwarzhalsziegen, Pfauenziegen, Nera Verzasca Ziegen, gämsfarbigen Gebirgsziegen, Toggenburger- und Saanenziegen sowie Capra Grigia von verschiedenen Besitzern aus der ganzen Schweiz besteht. Sie kennen die meisten davon mit Namen, kraulen sie am Hals und schieben sie liebevoll zur Seite, wenn sie die Besucher als Kratzbaum benutzen oder kess ihre Mäuler in offene Rucksäcke stecken. «Ziegen sind Tiere mit Charakter: Sie sind clever, witzig, verschmust, verfressen und unglaublich neugierig», sagt Pascale Stähli lachend. Die Hirtinnen, die sich vor einigen Jahren in der Hundeschule kennen gelernt haben, hoffen, auch den nächsten Sommer im Gental zu verbringen. Einerseits, um wieder mehrere Monate mit den Tieren zusammenzusein, andererseits, um den Einsatz für die Biodiversität zu unterstützen. «Wir haben viele Ideen, wie man Ziegen wieder mehr zum Thema machen und ihre Produkte, beispielsweise das Fleisch, vermarkten könnte», sagt Pascale Stähli. Gleichzeitig findet sie es wichtig, die Landwirte ins Boot zu holen und die Bedeutung der Ziegen aufzuzeigen. Die Hirtin ist überzeugt: «Das Interesse der Älpler ist da.» Das bestätigt auch Alexander Kehrli, Präsident der Alpgenossenschaft Gental: «Wir wollen diese Flächen erhalten, da wir für die Sömmerung der Rinder darauf angewiesen sind.» Er lobt den Einsatz der Ziegen, der aus seiner Sicht längerfristig erfolgen sollte: «Das Projekt ist eine gute Sache.»